Politik versagt – Gewässer leiden: Kommentar auf Zeit-Online

Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat Deutschland heute wegen seiner Verstöße gegen die europäische Nitratrichtlinie zum Schutz der Gewässer verurteilt. Deutschland drohen nun hohe Geldstrafen. Das übermäßige Ausbringen von Gülle, Gärresten aus Biogasanlagen und mineralischem Dünger in der Landwirtschaft gilt als Hauptverursacher der hohen Nitratwerte in Oberflächengewässern und im Grundwasser.

Schon drei Tage vor dem heutigen Urteil hatte der Deutsche Bauernverband (DBV) in einer Pressemitteilung versucht, dem Gericht den Wind aus den Segeln zu nehmen, da sich die Verurteilung nur auf das alte Düngemittelrecht beziehe. Was wiederum nahe legt, dass das neue, in 2017 reformierte Düngemittelrecht eine durchgreifende Verbesserung sei, „mit der Deutschland im Sinne des Gewässerschutzes gut aufgestellt ist“, wie der DBV meint.

Das allerdings bezweifelt der Kieler Landwirtschaftsexperte Prof. Friedhelm Taube, der im Auftrag des Bundesverbands der Energie- und Wasserwirtschaft eine ausführliche Studie[1] zum neuen Düngerecht erarbeitet hat. Darin stellt er dem Gesetzgeber ein vernichtendes Urteil aus. Er bemängelt Wirkungslosigkeit und Komplexität des neuen Rechts und spricht von Politikversagen. Offensichtlich seien bei der Gesetzeserarbeitung „nicht wissenschaftliche Evidenz und die Herausforderungen der EU-Umweltgesetzgebung Richtschnur gewesen, sondern bestimmte Interessen des landwirtschaftlichen Berufsstandes“.

Nun sind die tatsächlichen Auswirkungen des neuen Rechts noch nicht festzustellen, da es Jahre dauern kann, bis Verbesserungen ins Grundwasser „durchsickern“. Taube erwartet jedoch, dass die Nitratwerte „großflächig, insbesondere auch in den schon jetzt belasteten Regionen, weiter steigen werden“. Für unsere bereits heute stark mit Nitrat belasteten Gewässer eine schlechte Nachricht. Übermäßig viel Nitrat wirkt in Flüssen, Bächen und Seen wie ein Gift. Durch die Überdüngung schießen Algen und andere Wasserpflanzen ins Kraut. Die Zersetzung des Pflanzenmaterials verbraucht viel Sauerstoff, der dann anderen Wasserlebewesen fehlt. Erst vor kurzem, nach ein paar warmen Wochen im Mai, haben sich wieder vielerorts die Folgen gezeigt, als wie etwa im Hamburger Hafen Fischsterben wegen Sauerstoffmangel auftraten.

Dass der DBV behauptet, mit dem neuen Recht sei alles paletti, zeigt das grundlegende Problem: Man will nicht akzeptieren, dass Veränderungen der gewohnten Wirtschaftsweise nötig sind. Bei vielen Landwirten und Politikern fehlt der Wille, aktiv an einer Verbesserung der Lage mitzuarbeiten. Umweltschonende Vorgaben werden als Schikane und Angriff auf den Berufsstand missverstanden. Statt mitzugestalten, begibt man sich in eine Verweigerungshaltung. Damit schadet man nicht nur der Umwelt, sondern auch all jenen Bauern die heute schon besonders verantwortungsvoll und umweltbewusst wirtschaften. Und das sind bei weitem nicht nur Biobäuerinnen und – bauern.

Wo die Probleme liegen und was zu tun ist, ist seit langem bekannt und wissenschaftlich gut untersucht. Nachzulesen etwa in diversen Publikationen des Umweltbundesamtes[2]. Eine naheliegende und einfach durchzuführende Sofortmaßnahme zum Gewässerschutz wäre etwa die strikte Vorgabe und Kontrolle eines sogenannten „Gewässerrandstreifens“, also eines Mindestabstands zum Ufer bei der Düngerausbringung. Der BUND fordert einen landesweiten Mindestabstand von zehn Metern. Die neue Düngemittelverordnung enthält entsprechende Einschränkungen aber nur für besonders steile Uferbereiche.

Die am stärksten belasteten Regionen liegen dort, wo massenweise Tiere zur Fleischproduktion gehalten werden, etwa im Nordwesten der Republik (Link zur Deutschlandkarte Grundwasserbelastung des UBA). Die exportorientierte Fleischproduktion ist ein Geschäftsmodell, dessen Kosten für Umwelt und Gesellschaft sozialisiert werden, zum Beispiel über höhere Kosten für die Trinkwasseraufbereitung, dessen satte Gewinne aber bei Industrie und Handel verbleiben. Es ist Teil des Politikversagens, dass diese Art des Wirtschaftens auch noch über Agrarsubventionen mit Steuermitteln gefördert wird. Die gegenwärtige Diskussion zur Verteilung der EU-Agrarsubventionen ab 2021 böte die Chance umzusteuern und nur noch die Bauern und Bäuerinnen zu belohnen, die besonders gewässerschonend arbeiten, anstatt das Gros der Mittel wie gehabt rein nach bewirtschafteter Fläche zu verteilen.

Passend zum Thema berichtete der Sachverständigenrat für Umweltfragen der Bundesregierung diese Woche, dass Deutschland die meisten der von der Regierung selbst gesteckten Umweltziele für 2030 wohl nicht erreichen wird. Nur sechs von 25 Indikatoren seien auf Zielkurs, bei fünf ginge der Trend sogar in die falsche Richtung. Unter diesen „Dirty Five“ befinden sich zum Beispiel die Indikatoren „Artenvielfalt und Landschaftsqualität“ sowie „Nitrat im Grundwasser“. Die Wissenschaftler betonen, dass „ein hoher ökologischer Handlungsbedarf“ bestehe, z.B. beim Klima-, Natur- und Gewässerschutz.

Wir sollten aufpassen, dass wir über die tagesaktuellen Diskussionen nicht die Sicherung der natürlichen Lebensgrundlagen für unsere Kinder und Enkel vergessen. Eine zukunftsfähige Landwirtschaft mit sauberen Gewässern gehört da sicher dazu.

Anmerkung: Dies ist die nicht redigierte Version des Kommentars, der am 21.6.2018 auf Zeit-Online unter dem Titel Nitrat-Urteil: „Gestaltet mit, statt euch zu weigern“ erschienen ist.

Weitere nicht im Text verlinkte Quellen:

[1] Taube, F. (2018) Expertise zur Bewertung des neuen Düngerechts 
(DüG, DüV, StoffBilV) von 2017 in Deutschland im Hinblick auf den Gewässerschutz

[2] UBA 2015: Umweltbelastende Stoffeinträge aus der Landwirtschaft – Möglichkeiten und Maßnahmen zu ihrer Minderung in der konventionellen Landwirtschaft und im ökologischen Landbau, https://www.umweltbundesamt.de/publikationen/umweltbelastende-stoffeintraege-aus-der

UBA: Fakten zur Nitratbelastung: https://www.umweltbundesamt.de/themen/fakten-zur-nitratbelastung-in-grund-trinkwasser

UBA: Umweltschutz in der Landwirtschaft zu langsam: https://www.umweltbundesamt.de/themen/umweltschutz-in-der-landwirtschaft-kommt-zu-langsam