Wer ist der schlimmste Ökosünder? Es ist Angela Merkel

Symbolbild Energie und Verkehr

Vergessen Sie Merkels guten Ruf bei der Unterstützung grüner Initiativen. Die umweltpolitische Bilanz der deutschen Kanzlerin ist ein Desaster.

Kommentar von George Monbiot*

Welche lebende Person hat am meisten für die Zerstörung der Natur und wider das künftige Wohlergehen der Menschheit getan? „Donald Trump“ wird bald die richtige Antwort sein, wenn erst die vollen Auswirkungen seiner wüsten Politik spürbar werden. Im Moment würde ich aber einen anderen Namen nennen: Angela Merkel.

Was? Bin ich von Sinnen? Angela Merkel, die „Klimakanzlerin“? Die Person, die als deutsche Umweltministerin mit schierer Willenskraft das erste UN-Klimaabkommen mit vermittelt hat? Die Kanzlerin, die die G7 überzeugt hat, zu versprechen, bis Ende des Jahrhunderts den fossilen Brennstoffen abzuschwören? Die Architektin der deutschen Energiewende? – Ja, genau die.

Im Unterschied zu Trump ist sie nicht böswillig. Es war nicht ihre Absicht die Abkommen zu zerstören, an deren Zustandekommen sie mitgearbeitet hat. Aber die Ökosysteme der Erde scheren sich nicht um Leitbilder, Reden und gute Vorsätze. Die natürlichen Systeme reagieren nur auf harte Fakten. Was zählt und was beurteilt werden sollte, jetzt wo sie sich anschickt bei der Bundestagswahl am Sonntag zum vierten Mal deutsche Kanzlerin zu werden, ist das, was getan wurde, nicht das, was gesagt wurde. Auf dieser Skala war ihre Darbietung ein planetarisches Desaster.

Die Smog-Kanzlerin

Merkel hat eine fatale Schwäche: eine Schwäche für die Macht der Lobbyisten der deutschen Industrie. Immer wenn eine wichtige Entscheidung getroffen werden muss, wägt sie ihre Ethik gegen den politischen Vorteil ab und entscheidet sich für den Vorteil. Das ist zum großen Teil der Grund dafür, warum Europa heute an einer Dieselwolke erstickt.

Die Entscheidung der EU Benzin- durch Dieselmotoren zu ersetzen, wurde von den deutschen Autobauern durchgesetzt und lag noch vor ihrer Amtszeit. Es war ein klassischer europäischer fauler Kompromiss, ein Mittel eine Systemänderung zu vermeiden, während man den Eindruck erweckt etwas zu tun; basierend auf der Behauptung (die sich jetzt als falsch erweist), dass Dieselmotoren weniger CO2 produzieren als Benziner. Kaum war Merkel Kanzlerin, nutzte sie jede erdenkliche Taktik, fair oder unfair, dieses tödliche Ausweichmanöver beizubehalten.

Das gravierendste Beispiel dafür stammt aus dem Jahr 2013, als sich, nach fünfjährigen Verhandlungen, andere europäische Regierungen endlich auf einen neuen Kraftstoffstandard für Pkw geeinigt hatten: demnach sollten Pkw bis 2020 im Durchschnitt nicht mehr als 95g CO2 pro Kilometer ausstoßen. Merkel intervenierte und das Vorhaben wurde ad acta gelegt.

Sie wird beschuldigt dem damaligen Präsidenten des Europäischen Ministerrats, und irischen Premierminister Enda Kenny, mit der Streichung der Gelder für den irischen Rettungsschirm gedroht zu haben. Den Niederlanden und Ungarn sagte sie, dass ihre deutschen Autofabriken geschlossen würden. Mit David Cameron fädelte sie einen schmutzigen Deal ein, in dem sie anbot die europäische Bankenregulierung zu verhindern, wenn er ihr helfen würde, die Abgasregulierung zu blockieren. Mit dieser brutalen Strategie gelang es ihr, die Verhandlungen zum Scheitern zu bringen. Die 700.000 Euro- Spende, die ihre Partei kurz darauf von den größten BMW-Anteilseignern erhielt, legt nicht nahe, dass diese mit Merkels Errungenschaften unzufrieden gewesen wären.

2014 schrieb die EU-Kommission an die deutsche Regierung und warnte, dass die Luftverschmutzung durch Dieselmotoren weitaus höher sei, als die Hersteller angaben. Die Regierung ignorierte die Warnung. Selbst heute, zwei Jahre nach dem Dieselskandal, verteidigt Merkel weiter die Dieselmotoren, indem sie ankündigt, „dass sie alles in ihrer Macht stehende unternehmen will, um Dieselfahrverbote in deutschen Städten zu verhindern“ und dabei den Übergang zu elektrischen Autos hindert. Der „Fehler“ der Dieselhersteller, so beharrt sie, „gibt uns nicht das Recht einer ganzen Industrie die Zukunft zu nehmen“. Stattdessen kostet ihre Politik tausenden Menschen das Leben.

Merkel ist ein planetares Desaster

Aber das könnte noch die harmloseste der Umweltkatastrophen sein, die sie mitzuverantworten hat. Denn dieser tödlichen Konzession an die deutsche Autoindustrie ging im Jahr 2007 eine weitaus schlimmere voran. Damals führte ihre kategorische Weigerung die vorgeschlagenen Verbesserungen bei den Motorenstandards zu akzeptieren – unterstützt von den üblichen diplomatischen Schikanen – dazu, dass die EU-Kommission sich etwas anderes ausdenken musste, um die Treibhausgasemissionen zu reduzieren. Man wählte fatalerweise den Weg fossile Kraftstoffe mit Biokraftstoffen zu ersetzen, einen Wandel, den Merkel seither lautstark verteidigt.

Merkel und die EU-Kommission ignorierten wiederholt Warnungen vor den absehbaren Konsequenzen wie Unterernährung und massive Umweltzerstörung als Folge der Umwandlung von Wald- und Anbauflächen für Nahrungspflanzen in Produktionsstätten für Biokraftstoff. Die Europäische Biokraftstoff-Strategie ist heute eine der Hauptursachen für eine der weltweit größten Umweltkatastrophen: Die Zerstörung der indonesischen Regenwälder für den Anbau von Ölpalmen.

Riesige, wunderbare Ökosysteme wurden ausgelöscht, mitsamt den Orang-Utans, Tigern, Nashörnern, Gibbons und Tausenden weiteren Arten, die dort lebten; und durch das Abbrennen von Wäldern und die Oxidation von Torf sind weit mehr Treibhausgas-Emissionen freigesetzt worden als durch fossile Brennstoffe. Besonders bitter ist, dass Merkels Verweigerung gegenüber neuen Motorenstandards im Jahr 2007 gerade das Ziel torpediert hat, das eine deutsche Umweltministerin im Jahr 1994 vorgeschlagen hatte – lassen Sie mich nachdenken – ja genau, das war Angela Merkel.

Symbolbild Energie und Verkehr

Energie und Vekehr: Deutsche Bahn vor dem EnBW-Steinkohlekraftwerk Altbach-Deizisau bei Stuttgart.

Ist das das Schlimmste? Es ist schwer, solche Verbrechen gegen die Biosphäre einzustufen, aber vielleicht das Beschämendste ist Deutschlands schockierendes Versagen – trotz der Investition von Milliarden von Euros – seine Stromversorgung von der Kohle unabhängig zu machen. Während in anderen europäischen Ländern die Treibhausgas-Emissionen drastisch gesunken sind, blieben sie in Deutschland konstant.

Der Grund dafür ist, wieder einmal, Merkels Kleinbeigeben gegenüber der Industrielobby. Das Kanzleramt hat mehrfach Vorstöße des Umweltministeriums blockiert, einen Termin für den Ausstieg aus der Kohle festzulegen. Kohle und insbesondere Braunkohle, die mit kanadischem Teersand um den Titel der schmutzigsten Energiequelle wetteifert, deckt noch immer 40% des deutschen Stromverbrauchs. Weil Merkel sich weigert die Kohlenutzung einzuschränken, hat die deutsche Energiewende zu dem seltsamen Effekt geführt, dass bei sinkenden Strompreisen statt Erdgas mehr (billigere) Braunkohle zur Stromerzeugung verwendet wird (in Deutschland wird das das Energiewende-Paradox genannt). Aber Merkel scheint das nicht zu kümmern. Sie hat angekündigt, dass „Kohle auf absehbare Zeit eine Säule der deutschen Energieversorgung bleiben wird“.

Hätte dieses Problem nicht der europäische Emissionshandel lösen müssen, indem er Kohleenergie über den Preis aus dem Markt drängt? Ja, das hätte er. Aber er wurde im Jahr 2006 von einer deutschen Politikerin sabotiert, die darauf bestand, dass der Industrie dermaßen viele Emissionszertifikate ausgestellt wurden, dass der Preis einzelner Zertifikate ins Bodenlose fiel. Wahrscheinlich können Sie erraten, wer das war.

All das sind tatsächliche Auswirkungen, während die Abkommen, an denen sie beteiligt war verwässert wurden und sich nach und nach durch spezielle Gefallen und schmutzige Geschäfte – wie ich sie in diesem Artikel aufgelistet habe – auflösten. Trotzdem umgibt sie noch immer eine Aura der Heiligkeit. Eine beachtliche Leistung für einen der größten Ökosünder der Welt.

*George Monbiot ist ein britischer Journalist und Buchautor, dessen Kommentare regelmäßig im „The Guardian“ erscheinen. Übersetzung mit Erlaubnis des Autors von Gunther Willinger, Biologe und Journalist aus Tübingen.

Dieser Kommentar von George Monbiot erschien zuerst am 19.9.2017 im Guardian. Dort finden sich auch weiterführende Links zu Quellenangaben und Hintergrundinformationen zu einzelnen Passagen des Textes.

 

 

 

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