
Forgotten fact: Wir sind Wesen, die zum Überleben Wasser, Nährstoffe und eine bestimmte Umgebungstemperatur brauchen.
Kürzlich wies mich eine Kollegin auf einen wenig beachteten Grund für die weltweite Misere beim Schutz unserer Lebensgrundlagen hin: Vor ein paar Jahren, als sie begann, sich intensiver mit dem Thema Klimawandel auseinanderzusetzen, sei ihr zum ersten Mal richtig bewusst geworden, dass es in den Naturwissenschaften unverrückbare Wahrheiten gebe. Etwa die Gesetze der Thermodynamik oder die Tatsache, dass das meiste Kohlendioxid, das wir heute rauspusten, sehr lange in der Atmosphäre zur Erderwärmung beitragen wird, selbst wenn wir morgen damit aufhören. Das sei für sie, eine studierte Politikwissenschaftlerin, Soziologin und Volkswirtin, fast schon ein Heureka-Moment gewesen, denn als Geisteswissenschaftlerin sei man es ja eher gewohnt, alles dialektisch abzuwägen.
Naturwissenschaftler:innen finden sich selten an den Schaltstellen in Politik, Journalismus oder Wirtschaft und vielleicht gehen auch deshalb physikalische oder biologische Fakten im täglichen Kommunikations-Getöse unter, werden relativiert oder verdrängt. Verschwinden tun sie deswegen nicht. Je wärmer die Atmosphäre, umso mehr Wasserdampf kann sie aufnehmen, Eis schmilzt und über den Meeren steigt die Verdunstung – ganz egal, ob wir grün, rot, schwarz oder blau ticken: Das Mehr an Wasser führt unweigerlich zu Katastrophen wie Überschwemmungen und Erdrutschen. Und weil Lebewesen jeglicher Couleur nur einen ganz bestimmten Temperaturbereich haben, in dem sie überleben können, führt die rapide Klimaerwärmung zu noch viel größeren Problemen. Steigt die Umgebungstemperatur zu lange über das tolerable Maximum, sterben Organismen. So einfach wie fatal. Das lässt sich heute schon zigtausendfach beobachten. Nicht nur bei Tieren und Pflanzen, die der Erderhitzung nicht mehr ausweichen können, siehe Korallen und Co., sondern auch bei Menschen, die immer öfter aufgrund von Hitzewellen und anderen klimagemachten Katastrophen sterben.
Unsere Lebensgrundlagen erodieren in nie gekannter Geschwindigkeit. Ozeane versauern, Wälder brennen, Feuchtgebiete fallen trocken, fruchtbarer Boden wird weggespült und immer mehr Tier- und Pflanzenarten verschwinden von unserem Planeten. Dabei nehmen sie auch ihre über Jahrmillionen entstandene genetische Ausstattung mit ins Grab. Ein irreversibler Verlust: dieser Teil der globalen Biodiversität ist dann einfach weg – die Folgen für uns lassen sich nicht mal ansatzweise abschätzen – weil wir die verschwundenen Arten, ihre ökologische Bedeutung und ihre Fähigkeiten in den meisten Fällen noch gar nicht kennenlernen konnten. Sicher ist nur, dass dieser Verlust schwer wiegt, und dass die Welt dadurch wieder ein Stück ihrer Schönheit, Vielfalt und Resilienz eingebüßt hat.
Als Fazit ein Appell an alle Jurist:innen, Soziolog:innen, Politik-, Wirtschaftswissenschaftler:innen, … : Denkt bitte immer wieder mal daran, dass die Physik keine Kompromisse macht. Wenn wir aus der fossilen Sackgasse wieder herauskommen wollen, in die wir uns hineinmanövriert haben, dann sollten wir endlich aufhören, über Dinge wie die Schwerkraft zu diskutieren. Wir könnten dann unsere Zeit und Energie so radikal wie realistisch1 in die Lösung der ganz konkreten Probleme des Planeten investieren, die uns alle betreffen. Die gute Nachricht ist, dass diese Lösungen weitgehend bekannt sind und sogar unter der Rubrik „Fortschritt“ verbucht werden können.2 Es braucht also nicht mal einen Rückwärtsgang, um aus der Sackgasse herauszukommen.3
1 Gradualismus und „Mitte“ helfen nicht. Die Radikalität der Lösungen muss zur Radikalität der Probleme passen. Siehe dazu auch die immer noch sehr treffende Analyse von Bernd Ulrich „Wie radikal ist realistisch?“ in „Die Zeit“ Nr. 25/2018
https://www.zeit.de/2018/25/demokratie-deutschland-politische-mitte-radikalitaet-westen
2 Eine leicht verständliche und naturwissenschaftlich fundierte Richtschnur liefert z.B. das 2023 bei Ullstein erschienene Buch „Die Faltung der Welt“ des Physikers Anders Levermann
https://faltungderwelt.de/
3Hurra die Welt geht unter
Den Denkanstoß zu diesem Beitrag lieferte der Hamburger Soziologe Heinz Bude mit seinem Text über die Grünen mit dem Titel „Rechthaberei reicht nicht“ in „Der Spiegel“ Nr. 43, vom 17.10.2025, S.48/49, in dem folgender Satz steht:
„Das ökoemanzipatorische Projekt stößt heute auf eine abgeklärte Gesellschaft, die sich darüber im Klaren zeigt, dass es, was das Klima angeht, fünf nach zwölf ist und dass […] die Welt trotzdem nicht untergeht.“
Da frage ich mich als Biologe, wie man sich so sicher sein kann, dass die Welt nicht untergeht, und ob man das dann als „abgeklärt“ bezeichnen sollte. Gewiss, im apokalyptischen Sinne wird sie nicht untergehen – das würde sie aber auch nach einem weltweiten Atomkrieg nicht – nur die Lebensbedingungen auf dem Planeten würden sich doch drastisch verschlechtern, und im Falle der Klimakrise tun sie das bereits. Diejenigen, die sich mit dicken Mauern und Klimaanlagen abschotten können, werden noch eine Weile ihren Lebensstil aufrecht erhalten – am derzeitigen Niedergang der Vielfalt und Fülle auf unserem Planeten ändert das leider nichts. Oder kurz: Wer sich mit Dingen wie Klimawandel, Biodiversität und Artensterben befasst, muss leider sagen: doch, die Welt des Lebendigen geht gerade unter, wir schauen dabei zu und wenn wir weiter so untätig bleiben, wird sich der Verlust der Fülle noch beschleunigen.
Zur Grafik (bitte feminine Form mitdenken): Im Bundestag sind 19 Naturwissenschaftler, Geografen und Informatiker vertreten. Das sind gerade einmal 2,5 Prozent der Abgeordneten. Aus dem Bereich Unternehmensorganisation, Recht und Verwaltung stammen 72 Prozent der Abgeordneten (532 von 753). Zu diesem Bereich gehört auch die am stärksten vertretene Berufsgruppe. Das sind die Juristen mit 109 Abgeordneten (18,6 %).
Quellen:
https://www.das-parlament.de/inland/bundestag/der-bundestag-wird-groesser-juenger-und-vielfaeltiger
https://www.beck-stellenmarkt.de/ratgeber/legal-career/zahlen-daten-fakten/juristischer-karriereweg-den-bundestag
