Naturschutz ist der beste Klimaschutz

Bergregenwald Costa Rica

Die Renaturierung von Lebensräumen kann uns helfen, zwei grundlegende Probleme auf einmal zu lösen: Die Klimakrise und die ökologische Krise.

Bergregenwald Costa Rica

Bergregenwald in Costa Rica

Der Schutz und die Wiederherstellung von Wäldern, Mooren, Steppen und Küstenlebensräumen bedeutet nicht nur den Erhalt von einzigartigen Landschaften und zahlreichen Tier- und Pflanzenarten, sondern auch effektiven Klimaschutz – wenn nicht sogar die einzige Möglichkeit die Klimakrise mit vertretbarem Aufwand abzuwenden. Statt unser Heil im Geoengineering zu suchen, sollten wir der Natur mehr Raum geben. Das führt der britische Journalist, Autor und Umweltaktivist George Monbiot in einem Beitrag für den britischen Guardian aus. Er hat mit Mitstreitern eine Webseite eingerichtet und einen offenen Brief verfasst, um auf die Bedeutung natürlicher Klimalösungen hinzuweisen und entsprechende Aufmerksamkeit und Unterstützung zu generieren. Der positive Effekt großflächiger Naturschutzvorhaben könnte dabei sogar noch weit wertvoller für den Klimaschutz sein, als der bereits wissenschaftlich belegte. Denn bislang sind in vielen Fällen weder die negativen Klimafolgen ausbeuterischer Wirtschaftspraktiken genau bekannt, wie etwa der großflächige Einsatz von Grundschleppnetzen in der industriellen Fischerei, noch das ganze Potential sich erholender Lebensräume und Tierpopulationen. Im Folgenden lesen Sie die Übersetzung des Beitrags von George Monbiot im britischen Guardian vom 3.4. 2019. Auf der neu eingerichteten Webseite Natural Climate Solutions findet sich auch eine ausführliche Darstellung der zu Grunde liegenden wissenschaftlichen Erkenntnisse.

Link zum englischen Artikel im Guardian
Link zur Webseite „Natural Climate Solutions“

Naturschutz ist der beste Klimaschutz – (englisch: natural climate solutions)

Wie die Natur uns helfen kann, die Klimakatastrophe abzuwenden

Von George Monbiot, erschienen am 3.4.2019 im Guardian
Übersetzung: Gunther Willinger

Ich erwarte nicht, dass das Schreiben über die Klimakrise viel Spaß macht. Auf der einen Seite sind da Sorge und Trauer; auf der anderen Seite: Maschinen. Ich wurde Umweltschützer, weil ich das Leben liebe, aber ich habe einen großen Teil meines Lebens damit zugebracht, über Elektrizität, industrielle Prozesse und das Bauwesen nachzudenken. Eine technologische Wende ist essentiell, aber für einen Naturkundler fühlt sich das oft kalt und distanziert an. Heute jedoch darf ich über etwas schreiben, das mich begeistert: Das spannendste Forschungsfeld über das ich seit Jahren berichtet habe.

Die meisten Wissenschaftler sind sich einig, dass es heute bereits zu spät ist, um das 1,5°C-Ziel bei der Klimaerwärmung nur durch die Begrenzung des Ausstoßes von Treibhausgasen zu erreichen. Selbst wenn wir morgen alle Emissionen auf Null reduzieren würden, würden wir wohl dieses entscheidende Temperaturlimit überschreiten. Um eine vollumfängliche Katastrophe zu vermeiden, müssen wir also nicht nur unsere Wirtschaft in kürzest möglicher Zeit dekarbonisieren, sondern auch CO2 wieder binden, das schon ausgestoßen wurde.

Aber wie soll das gehen? Der bekannteste Vorschlag nennt sich Bioenergie mit CO2-Abscheidung und –Speicherung (bio-energy with carbon capture and storage = BECCS). Das bedeutet Holz oder Stroh in Plantagen anzubauen, es in Kraftwerken zu verbrennen, um Strom zu produzieren und das dabei frei werdende CO2 aus den Abgasen abzuscheiden und in Salzstöcken, Granit oder anderen geologischen Formationen tief unter der Erde zu speichern. In größerem Maßstab angewandt, würde das aber wahrscheinlich eine ökologische oder humanitäre Katastrophe verursachen. Ein BECCS-Vorschlag, der von einigen Regierungen erwogen wird, würde eine Fläche von der dreifachen Größe Indiens mit Plantagen bedecken. Davon wäre entweder Ackerland betroffen, so dass BECCS Hungersnöte verursachen würde, oder aber es würde die Umwandlung großer Naturflächen in nahezu leblose Plantagen bedeuten. Davon wären etwa die Hälfte der verbliebenen Wälder betroffen. Aber selbst dann wäre es möglicherweise nicht effektiv, weil jede Kohlenstoffeinsparung durch den Einsatz von Mineraldüngern und die bei der Bodenbearbeitung freigesetzten Treibhausgase konterkariert würde. BECCS kann nur zu einer Katastrophe führen und wir sollten die Idee schleunigst wieder vergessen.

Eine andere Option ist die Technik des direct-air-capture (DAC), eine Methode, bei der Luft angesaugt und CO2 maschinell aus der Luft gefiltert wird. Mal abgesehen von den zu erwartenden immensen Kosten, müssten für den Bau größerer Anlagen riesige Mengen Stahl und Beton verwendet werden. Deren Herstellung könnte dazu beitragen, dass bestimmte Kipppunkte im Klimasystem überschritten werden, noch bevor die positiven Effekte der Technik zu spüren sind.

Das alles ist aber gar nicht nötig, denn es gibt einen viel besseren und billigeren Ansatz, um Kohlenstoff aus der Luft zu holen. Natürliche Klimalösungen bewerkstelligen das beim Wiederaufbau lebender Systeme. Das größte bislang identifizierte Potential – dank der potentiell riesigen dafür zur Verfügung stehenden Fläche – steckt im Schutz und der Wiederherstellung natürlicher Wälder und der Wiederbewaldung mit heimischen Baumarten. Das höchste Kohlenstoffbindungspotential pro Hektar (allerdings bei kleinerer potentieller Fläche) weist die Renaturierung von Küstenlebensräumen wie Mangroven, Salzwiesen und Seegraswiesen auf. Sie lagern den Kohlenstoff vierzig mal schneller ein als tropische Regenwälder. Moorböden sind ebenfalls wichtige Kohlenstoffspeicher. Sie werden momentan durch Entwaldung, Trockenlegung, Verbrennung, Umwandlung in Ackerland und Torfabbau für Gärten oder zur Energiegewinnung oxidiert. Der Wiederaufbau von Moorböden durch das Schließen von Entwässerungskanälen und das Wiederaufwachsen der natürlichen Vegetation könnte einen großen Teil des verlorenen Kohlenstoffs wieder „aufsaugen“.

Das sind nur die am besten untersuchten natürlichen Klimalösungen. Sie könnten helfen, zwei grundlegende Probleme auf einmal zu lösen: Die Klimakrise und die ökologische Krise. Ihr Beitrag dazu wäre sehr wahrscheinlich enorm – größer als irgendjemand noch vor ein paar Jahren gedacht hätte; weitere Möglichkeiten wurden bislang kaum erforscht. So haben wir zum Beispiel kaum eine Vorstellung davon, welchen Einfluss die industrielle Fischerei auf die riesigen Kohlenstoffmengen am Meeresgrund hat. Dadurch dass Grundschleppnetze Sedimente aufwirbeln und in die Wassersäule befördern, kommt der darin enthaltene Kohlenstoff in Verbindung mit Sauerstoff und wird teilweise zu CO2. Eine Studie legt nahe, dass das wiederholte Schleppnetzfischen im nordwestlichen Mittelmeer den Kohlenstoffgehalt in den oberen zehn Zentimetern Meeresboden um bis zu 52% reduziert hat. Bedenkt man die ungeheuren Flächen, die alljährlich mit Grundschleppnetzen bearbeitet werden (ein Großteil des Meeresbodens der Kontinentalsockel), könnten die Auswirkungen auf das Klima enorm sein. Einen Großteil der Meere für die Grundschleppnetzfischerei zu sperren, könnte eine entscheidende Klimaschutzmaßnahme sein.
Wissenschaftler beginnen gerade erst zu verstehen, welchen radikalen Einfluss die Erholung bestimmter Tierpopulationen auf das Klima haben kann. So sind Waldelefanten und Nashörner in Afrika und Asien und Tapire in Brasilien tierische Waldgärtner, die ihre Lebensräume bewahren und wieder ausdehnen können, indem sie Baumsamen mit der Nahrung aufnehmen und etliche Kilometer weiter wieder ausscheiden. Breitmaulnashörner können eine wichtige Rolle bei der Eindämmung von Buschfeuern in der afrikanischen Savanne spielen, weil sie durch Beweidung verhindern, dass sich zuviel trockenes Gras ansammelt.

Eine andere Veröffentlichung kommt zum Schluss, dass intakte Wolfspopulationen in Nordamerika durch ihren Einfluss auf große Pflanzenfresser wie Hirsche und Elche jedes Jahr Treibhausgasemissionen in der Größenordnung des Ausstoßes von 30 bis 70 Millionen Autos verhindern könnten. Nach dem gleichen Schema schützen gesunde Populationen von räuberischen Krabben und Fischen den in Salzwiesen gebundenen Kohlenstoff, weil sie die Zahl pflanzenfressender Krabben und Schnecken reduzieren. Ohne ihre räuberischen Gegenspieler bedrohen die Pflanzenfresser die Salzwiesenvegetation, die diese Lebensräume instandhalten. (Anm. d. Übersetzers: Ein deutschsprachiger Beitrag zu der Rolle von Wildtieren beim Klimaschutz findet sich hier.)

Was mir an den natürlichen Klimalösungen am besten gefällt, ist, dass wir all diese Dinge ohnehin tun sollten. Anstatt also schwere Entscheidungen treffen zu müssen oder uns zweifelhafte Maßnahmen zu überlegen, um unsere Ziele zu erreichen, können wir uns vor der Katastrophe retten, indem wir unsere Welt der natürlichen Wunder stärken. Es sollte jedoch weder etwas ohne die Zustimmung indigener Gruppen oder anderer ortsansässiger Bevölkerungsgruppen unternommen werden; noch sollten schädliche Projekte wie etwa Monokulturplantagen als natürliche Klimalösungen durchgehen. Dass etliche Regierungen genau dieses Täuschungsmanöver versuchen, zeigt eine diese Woche im Fachmagazin „Nature“ erschienene Veröffentlichung.

Heute startet eine kleine Gruppe von uns eine Kampagne, um den natürlichen Klimalösungen die gebührende Unterstützung und Finanzierung zu verschaffen. Momentan werden sie nämlich, trotz des immensen Potentials an den Rand gedrängt; und zwar zugunsten möglicherweise nutzloser oder sogar schädlicher Projekte, die aber profitabel für Firmen sind. Regierungen diskutieren die Klimakrise und die ökologische Krise in unterschiedlichen Gremien, obwohl beide Katastrophen zusammen angegangen werden könnten. Wir haben eine Webseite eingerichtet, einen Animationsfilm produziert und einen Brief an Regierungen und internationale Institutionen geschrieben, der von bekannten Aktivisten, Wissenschaftlern und Künstlern unterzeichnet wurde.

Wir wollen nicht, dass natürliche Klimalösungen als Ersatz für die schnelle und vollständige Dekarbonisierung unserer Wirtschaften propagiert werden, denn die Wissenschaft belegt, dass wir beides brauchen. Das Zeitalter vom Kohlenstoff-Ausgleichshandel (carbon-offset) ist vorbei. Was dieses spannende Forschungsfeld aber zeigt, ist dass der Schutz und die Regeneration der natürlichen Lebensgemeinschaften der Welt nicht nur ein ästhetisch ansprechendes Unterfangen ist. Es ist eine essentielle Überlebensstrategie.

Hinweis: Verlinkungen zu den im Text erwähnten Studien finden sich im englischen Original

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